Pressemitteilung vom 01. März 2024

Auswertung der Prozessbegleitung zum Tod von Ante P. - Eine Zwischenbilanz

Die Initiative 2. Mai Mannheim veröffentlichte heute auf 19 Seiten ihre vorläufige Auswertung der sieben Prozesstage mit insgesamt 27 Zeug*innen. Etwa ein Prozent der Fälle gegen Polizeibeamt*innen, die vor Gericht kommen, werden von Opfern gewonnen. Die meisten Fälle werden vorher eingestellt – laut der Hellfeld-Quote 98 %. Während der Beobachtung des Prozesses gegen die Polizeibeamten, die Ante P. laut der Gerichtsmedizinerin Prof. Dr. Yen erstickten, wurden die verschiedenen Strategien der Verfahrensbeteiligten untersucht. Das Ergebnis: Prozesse gegen Polizeibeamte werden voreingenommen geführt. Ihnen wird als Beamt*innen und als Zeug*innen eine besondere Rolle eingeräumt. Der Umgang mit Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, ist vor Gericht diffamierend und auf der Straße tödlich. Das Verhalten der Angeklagten und der von ihnen bestellten Zweitgutachter*innen zu der Todesursache wirkten retraumatisierend auf Mutter und Schwester von Ante P.

Der „Auswertung der Prozessbegleitung zum Tod von Ante P. - Eine Zwischenbilanz“ liegen Gespräche mit verschiedenen Expert*innen zugrunde, die zu Polizeigewalt forschen. Beispielsweise äußerte die Kriminologin und Juristin Laila Abdul-Rahman Zweifel, dass bei einem nicht-polizeilichen Angeklagten das geforderte Strafmaß der Staatsanwaltschaft bei einer ähnlich schweren Tat genauso gering ausgefallen wäre. Angesichts der überwiegenden Verfahrenseinstellungen und Freisprüche bei Polizeigewalt sei es schon als juristischer Erfolg zu werten, dass überhaupt die Rechtswidrigkeit von dem Pfeffersprayeinsatz und den vier Schlägen anerkannt wurde. Die Höhe des geforderten Strafmaßes durch die Staatsanwaltschaft erklärt sie damit, dass so der Staatsanwaltschaft nicht vorgeworfen werden könne, sie habe nichts getan, während deutlich spürbare Konsequenzen für die Polizeibeamten ausblieben. Staatsanwaltschaft und Verteidigung stellten die Bedeutung von Augenzeug*innen infrage und machten einen Unterschied zwischen weiß-gelesenen und nicht-weiß gelesenen Zeug*innen. Auf dem Marktplatz in Mannheim hielten sich mehrheitlich rassifizierte und migrantisierte Menschen auf. Bereits vor dem Gerichtsprozess waren rassistische Äußerungen des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in der Bezirksgruppe Mannheim, Thomas Mohr, öffentlich geworden. Er sagte, dass in diesem Stadtteil „die Anwohnerschaft und das Klientel“, was sich dort bewege, grundsätzlich ein „gespaltenes Verhältnis zum Staat und auch ein gespaltenes Verhältnis zur Polizei“ hätte. Die Polizei forciert seit einigen Jahren das Narrativ der Bedrohung durch Umstehende. So hat die Polizei den Begriff der „Tumultdelikte“ geschaffen. Dahinter steckt die Behauptung, dass sich Gruppen zusammenrotteten, um Polizeieinsätze zu stören. Die Polizei gibt häufig auch Anweisungen, nicht zu filmen. Mit solchen Strategien versucht die Polizei, Augenzeug*innen von Polizeigewalt abzuschrecken. Diese Täter-Opfer-Umkehr prangert seit vielen Jahren der Aktivist und Überlebende des Möllner Anschlags, Ibrahim Arslan, an. Die Betroffenen seien keine Statisten, sondern die Hauptzeugen des Geschehens. Welche Konsequenzen müssen gezogen werden? Wie kann auf Polizeigewalt aufmerksam gemacht werden?

  • Wir fordern, dass die Angeklagten nicht mehr in den Polizeidienst zurückkehren.
  • Wir fordern unabhängige Untersuchungsmechanismen von Polizeigewalt auf den Ebenen von Kommune, Land und Bund. Die Initiative 2. Mai unterstützt darüber hinaus die Forderungen zur Einrichtung von unabhängigen Beschwerde- und Beratungsstellen. Sie bedürfen institutioneller und finanzieller Unabhängigkeit. Sie sind personell und finanziell so auszustatten, dass sie als Unterstützungsstruktur arbeitsfähig sind.
  • Wir fordern die Einrichtung eines unverzüglich abrufbaren Opferfonds, um zumindest das bürokratische und finanzielle Leid der Betroffenen von Polizeigewalt zu lindern. Wir unterstützen die unabhängigen Stiftungen, die sich diesem Thema annehmen. Der Verlust eines Menschen bringt hohe soziale und finanzielle Not mit sich. Wir fordern die Öffentlichkeit auf, sich stärker für die Belange von Betroffenen zu sensibilisieren.
  • Wir fordern mobile Kriseninterventionsteams mit Expert*innen aus verschiedenen Bereichen der Psychologie, Sozialen Arbeit, Psychiatrieerfahrenen etc., die Menschen in einer psychischen Krise vor Ort adäquat, zugewandt und ohne Gewalt begegnen.
  • Wir fordern, dass Angehörige von Opfern durch Polizeigewalt und deren Augenzeug*innen direkt nach der Tat psychologische Betreuung angeboten wird.
  • Wir fordern, dass allen Zeug*innen von Polizeigewalt bei ihrer ersten Vernehmung durch die Polizei und später im Gericht ein unabhängiger Beistand proaktiv und kostenlos zur Seite gestellt wird, bspw. ein Anwalt, eine Beratungsstelle, psychosoziale Prozessbegleiter*innen oder andere Menschen zur emotionalen Unterstützung.
  • Wir versuchen in der Öffentlichkeit Bewusstsein darüber zu schaffen, nach Vorfällen von Polizeigewalt oder Rassismus sofort eigene Gedächtnisprotokolle anzufertigen – auch eigene Sprachnachrichten können in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sein.
  • Wir fordern die Gesellschaft auf, Hürden für Menschen mit physischen und psychischen Einschränkungen abzubauen – in und vor dem Gerichtssaal. Wir fordern einen sensiblen Umgang miteinander auf Augenhöhe.
  • Wir fordern eine Entschuldigung bei der Familie von Ante P. und ein Denkmal für ihn und andere Opfer von Polizeigewalt.
  • Wir fordern alle auf, am 15.3., dem Internationalen Tag gegen Polizeigewalt, gemeinsam mit den Angehörigen und Freund*innen von Ante P., Sammy Baker, Mouhamed Dramé, Hogir Alay, Ertekin Özkan um 17 Uhr auf dem Marktplatz in Mannheim zu gedenken, zuzuhören und sich für die Umsetzung dieser Forderungen einzusetzen.

Spenden: https://www.betterplace.org/de/projects/133751-prozessbeobachtung-kosten-fuer-ante-p-initiative-2-mai-mannheim

Unsere Bilanz finden sie unter folgendem Link:: Initiative 2. Mai (01.03.24) Eine Zwischenbilanz.pdf

Pressemitteilung 19. Februar 2024

Tödliche Polizeigewalt vor Gericht
Einladung zum Pressegespräch mit der Initiative 2. Mai aus Mannheim

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