Unsere Ausstellung „Ich will einen Richter“ im NTM
Im Rahmen der Veranstaltung „Möllner Rede im Exil” haben wir Teile unserer Ausstellung „Ich will einen Richter“ im Nationaltheater Mannheim gezeigt.
Die vollständige digitale Version der Ausstellung gibt es hier zu sehen.

Das Leben von Ante P.
Ante P.s Familie kam in den Siebzigerjahren aus Jugoslawien nach Deutschland, wie so viele andere, auf deren Arbeit sich der Wohl stand dieses Landes gründet. Als der Sohn psychisch erkrankte, war er noch ein Jugendlicher. Er musste sich oft hinlegen, es war ihm zu zu viel, er war unruhig.
Später lebte er allein und pflanzte auf dem Balkon seiner Wohnung Erdbeeren und Blumen. Am Liebsten hörte er die Band Queen. Eine Arbeitskollegin der Arbeitstherapeutischen Werkstätte (ATW) er zählt, sie sei gerne mit ihm in der Pause vor der Türe eine Zigarette rauchen gegangen. Er war ruhig und mit ihm ging sie am liebsten. Sein bester Freund erzählt: „Wir haben Samstag noch Basketball gespielt.“
Ante P. hatte beim Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mann heim (ZI) einen neuen jungen Arzt. „Der hört mir zum ersten Mal zu“, habe er in der Familie berichtet und er sei froh darüber, dass ihn jetzt dieser Arzt betreue.

Gerechtigkeit für Ante P.
Ante P. war ein hilfsbereiter Bruder, Sohn und Freund, der seit 33 Jahren mit einer psychischen Erkrankung lebte. Am 2. Mai 2022 suchte er Hilfe bei seinem Arzt, weil es ihm nicht gut ging. Nachdem Ante P. die Psychiatrie wieder verließ, holte der Arzt die Polizei um Ante P. zu schützen – er befürchtete, dass Ante P. sich selbst in Gefahr bringen könnte. Zwei Polizisten attackierten ihn mit Pfefferspray und brachten ihn gewaltvoll zu Boden. Rund 70 Personen beobachteten den folgenden tödlichen polizeilichen Übergriff am Marktplatz. In mehreren Handyvideos ist zu sehen, wie einer der Polizisten auf Ante P. einschlägt, während er bereits am Boden liegt. Mehrfach rief Ante P. „Ich will einen Richter” und „Ich bekomme keine Luft“. Nach mehreren Minuten in Bauchlage verstarb Ante P. ohne Hilfe vor Ort.
Antonia, die Schwester von Ante P., fragt auf einer Mahnwache für ihren Bruder: „Ich frage mich, wie viel wert ist welches Menschenleben und gibt es hier unterschiedliche Standards? Und wie kommt es, dass Personen, wenn sie im Rahmen ihrer psychischen Erkrankung durch medizinisches Personal fixiert werden mussten, nicht sterben – weder an ‚Vorerkrankungen‘ noch an etwaiger Gewalttätigkeit des Personals?“

Der Gerichtsprozess
Im Gerichtsprozess am Landgericht in Mannheim fallen vielen diskriminierende und menschenverachtende Aussagen gegen Menschen mit psychischen Diagnosen. Vorurteile werden re produziert und das Opfer zum Täter gemacht. „Für mich ist mein Sohn dadurch noch ein weiteres Mal gequält worden und gestorben.“ sagte Mara M., Ante P.s Mutter vor Gericht. Bevor der Richter sein Urteil fällt, erhebt sie sich und fragt die Zuschauer im Gerichtssaal: „Wäre Ante ihr Sohn, wie würden Sie entscheiden?“
Einer der beiden Polizisten wird Anfang 2024 freigesprochen, der andere zu einer geringen Geldstrafe verurteilt. Beide bleiben im Amt. Die Gewerkschaft der Polizei organisierte Gelder für die Verfahrenskosten und die Geldstrafe. Die Familie, die keinerlei staatliche Unterstützung erhält, ist auf Spenden angewiesen, um vor Gericht als Nebenklage auftreten zu können.
Nach dem Revisionsurteilt des BGH Karlsruhe wird der Polizei einsatz, der Ante P. das Leben kostete, voraussichtlich 2026 erneut vor dem Landgericht Mannheim verhandelt. Die Wahrschein lichkeit, dass Polizisten vor Gericht verurteilt werden, liegt in Deutschland bei 1%.

Kein Einzelfall
Ertekin Özkan ging es nicht gut. Er war in einer psychischen Krise und hatte Tage zuvor versucht, sich das Leben zu nehmen. Er stritt mit dem Jugendamt über den Unterhalt für seine drei Töchter. Sie lebten zusammen bei seiner Mutter. Das Jugendamt wollte, dass er auszieht. Am 23.12.2023 wählte er den polizeilichen Notruf. Als die Polizei eintraf, befand sich Ertekin Özkan auf der Straße in Mannheim-Schönau und hielt ein Messer in der Hand. Ertekins Mutter und Schwester flehten die Polizei an, sie bei dem Einsatz durchzulassen, damit sie Ertekin in seiner psychischen Notsituation beruhigen könnten. „Mein Vater hatte schon immer psychische Probleme und das war der Polizei auch bekannt“, sagte die 18-jährige Tochter später. Als Ertekin Özkan sich in Richtung der Polizei bewegte, trafen ihn vier Schüsse in den Oberkörper. Er verstarb vor den Augen seiner Familie.
Es gibt keine amtliche Statistik darüber, wie häufig Menschen in psychischen Notsituationen von der Polizei getötet werden, oder wie häufig sie Polizeigewalt überleben. Der Kriminologe Thomas Feltes schätzt, dass sich 75% der Opfer tödlicher Polizeigewalt in einer psychischen Ausnahmesituation befanden.
Ich will einen Richter
Kurz nach dem gewaltvollen Tod von Ante P. durch die Polizei am Mannheimer Marktplatz wurde die Initiative 2. Mai gegründet. Die Initiative steht an der Seite der Familie und setzt sich für ein öffentliches Gedenken ein. Sie organisiert solidarische Prozess begleitung, sammelt Spenden für Gerichtsverfahren und engagiert sich für eine gewaltfreie Unterstützung von Menschen in psy chischen Krisen ohne den Einsatz von Polizei.