Polizeigewalt in Mannheim – Clifford O. von Amtsgericht freigesprochen.
Nicht oft dürfte es in Deutschland passieren, dass ein Opfer von Polizeigewalt freigesprochen wird. Aber so ist es am 27.01.2025 Clifford O. ergangen. Der 27-jährige ist gelernte Pflegefachkraft, kam 2016 als Geflüchteter aus Nigeria nach Deutschland. Im Oktober 2023 gerät er in eine Verkehrskontrolle, die damit endet, dass er gefesselt auf dem Boden liegt. Beamte knien auf ihm, eine 10 cm lange blutige Schramme im Gesicht. Als er später die Beamt:innen anzeigt, zeigen sie ihn wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte an.
Das wurde heute in Mannheim verhandelt. Am Ende kam aber selbst die Staatsanwältin nicht umhin Freispruch zu fordern. Eine Forderung der sich Rechtsanwalt Senghaus, der Herrn O vertritt, anschloss.
Der Richter brauchte keine Sitzungspause nach den Plädoyers um nachzudenken, sondern verkündete direkt den beantragten Freispruch. Leuchtlinie hatte zu solidarischer Prozessbegleitung aufgerufen, so dass die einzig verfügbare Sitzbank dicht gefüllt war mit solidarischen Zuschauer:innen.
Prozessbericht
Zum Nachlesen
Es ist ein nasser, kalter Oktobermorgen 2023, als Clifford O. auf der Mannheimer Kurpfalzbrücke von der Polizei angehalten wird.
Er war auf einem E-Roller unterwegs, auf dem Weg nach Hause.
Die letzten zwölf Stunden hatte er im Pflegeheim gearbeitet und war müde.
Die beiden Polizist*innen fragen nach seinem Ausweis und dann schnell danach, ob er Drogen oder Alkohol konsumiert habe.
Beides verneint er. Aber immer wieder habe man auf einen etwaigen Konsum insistiert.
Man bietet ihm an, eine Urinkontrolle vor Ort zu machen, was Herr O. ablehnt.
Er werde doch nicht hier auf der Kurpfalzbrücke Urin abgeben, aber sicher auch nicht unter die Brücke dafür gehen.
Als er im Verlauf des Gesprächs mit der Polizei seine Chefin anrufen möchte, damit diese der Polizei bestätigt, dass er bis eben noch gearbeitet hat, eskaliert die Lage.
Der männliche Polizist will ihm das Handy aus der Hand reißen.
Die beiden rangeln.
Schließlich presst der Polizist Herrn O. gegen die Brüstung der Brücke, sodass O. nur noch das dunkle Wasser tief unter sich sieht.
Er schreit laut um Hilfe, steht Todesängste aus.
Wie geht es ihm heute, über ein Jahr später?
Dazu Clifford O.
Es hat mich wirklich fertig gemacht. Ich habe voll nicht kein Interesse mehr, keine Lust was zu machen, auch mit meinem Kind, war auch schwer. Früher habe ich mit ihm mehr gespielt oder so, aber in letzter Zeit, ich bin so geschlossen. Manchmal versuche ich es zu vergessen, aber es geht nicht, weil die Sache nicht zu Ende war. Psychisch auf die Arbeit merke ich auch manchmal vergesslichkeit. Ich schlafe oft erst spät in der Nacht. Es hat mich die letzten 2 Jahre wirklich sehr kaputt gemacht.
Am Ende wird Clifford O. eine 10 cm lange blutige Schramme im Gesicht davon tragen. Auf den Boden gedrückt, Polizei auf seinen Beinen kniend, gefesselt in ein Polizeiauto verfrachtet, nicht angeschnallt, in rasanter Fahrt durch die Innenstadt. Im Mannheimer Polizeirevier, nackt ausziehen bis auf die Unterhose. Der Atemalkoholtest ergibt 0,0 Promille. Auch die Analyse des im Revier abgenommenen Blutes ergibt keinerlei Auffälligkeiten. Als er später die Polizist*innen anzeigt, folgt prompt deren Gegenanzeige.
Mittlerweile ist es Ende Januar 2025, als das Amtsgericht Mannheim über die Vorwürfe gegen Clifford O. verhandelt. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzliche Körperverletzung, tätlicher Angriff. So lauten die Anklagepunkte. Die Verfahren gegen die beiden Polizeibediensteten wurden eingestellt.
Der Vorsitzende Richter Tsingyi, zwar schon über 15 Jahre Richter, aber erst seit sechs Monaten Strafrichter, setzt gleich zu Anfang den Ton. Er habe auf eine Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft gedrängt, denn es gebe, seiner Ansicht nach, Ungereimtheiten zwischen den Aussagen der Polizist*innen einerseits und objektiven Videoaufnahmen andererseits. Dann schildert Clifford O. nochmals das Geschehen und wie sehr es ihn auch noch heute psychisch belastet. Er sei Polizist*innen gegenüber immer freundlich aufgetreten. Und als er 2016 aus Nigeria nach Deutschland kam, sei er von Deutschen so freundlich aufgenommen worden. Er habe eine Pflegeausbildung machen können und er zahle auch seine Steuern. Anschließend wird das Video der städtischen Kamera vorgeführt. Es zeigt die Szenerie von Oktober 2023 in stummen Szenen. Man sieht einen ruhigen Clifford O., der plötzlich geradezu angefallen wird, von dem Polizisten. Ein Raunen geht durch das Publikum.
Leuchtlinie, die Beratungsstelle für Betroffene rassistischer Gewalt, hatte zu solidarischer Prozessbegleitung aufgerufen und die Sitzbank war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Nachdem sich das Publikum wieder beruhigt hatte, ist weiter zu sehen, wie der Polizist Herrn O. umklammert, gegen das Brückengeländer presst, wie Herr O. schließlich zu Boden gerungen wird und plötzlich weitere Polizist*innen eintreffen. Einer der Polizisten habe, so sagt O. im Prozess aus, noch Penner zu ihm gesagt. Anschließend verließ der Richter einen Vermerk des Polizisten, der Clifford O. angegriffen hat. Denn aktuell befindet sich dieser Beamte im Krankenstand.
Angeblich geradezu sanft habe er Herrn O. behandelt, sich stets um Deeskalation bemüht, obwohl O. angeblich hysterisch reagiert habe. Dann habe O. sich langsam rückwärts bewegt und man habe einen möglichen Fluchtversuch abwehren müssen. Da er selbst bei dem Gerangel gestürzt sei und eine Hüftprellung erlitten habe, werde er zivilrechtlich gegen Herrn O. vorgehen. Er stelle Strafvertrag und werde keine Entschuldigung akzeptieren.
Weder ein angeblich hysterisches Gebaren des Herrn O. war auf dem Video zu sehen, noch, dass er sich langsam von den Polizist*innen wegbewegte. Dann wird die einzige Zeugin des Prozesses vernommen, die 22-jährige Polizistin Frau M. Sie gibt letztlich das, was schon im Vermerk ihres Kollegen stand, wieder. Auch dass sich langsame sich rückwärts wegbewegen, erwähnt sie. Was ihr dann in der Befragung durch den Verteidiger von Herrn O. den Hinweis einträgt, sie solle sich mal nicht angewöhnen, die Unwahrheit zu sagen. Sie gibt schließlich zu, den Vermerk ihres Kollegen gelesen zu haben, bevor sie ihren eigenen zu Papier brachte.
Nachdem die Zeugin entlassen ist, versucht es der Richter nochmal mit einer Anregung zur Verfahrenseinstellung. Die Sitzungsstaatsanwältin lehnt ab, denn in einem Fall wie hier sei ein Freispruch gerechter als eine Einstellung. So plädiert sie dann auch.
Die Diensthandlung der Polizist*innen sei nicht rechtmäßig gewesen. Denn es stehe nicht fest, dass Herr O. eine Blutentnahme auf dem Revier tatsächlich angedroht worden sei. Zudem belege das Video, dass mindestens in Teilen die Aussagen der Polizist*innen nicht zutreffen.
Rechtsanwalt Patrick Senghaus, der Herrn O. vertritt, schloss sich diesem Plädoyer vollinhaltlich an. Er betonte, dass er immer wieder mit solchen Fällen zu tun habe. Immer gelten Polizeiaussagen als fast unumstößlich. Nach dem letzten Wort von Clifford O., der sich bei den anwesenden solidarischen UnterstützerInnen bedankt, verkündet der Richter dann ohne Sitzungspause direkt einen Freispruch.
Warum Herr O. freigesprochen wurde, dazu Rechtsanwalt Senghaus.
Weil die Aussagen der Polizisten in dem Vermerk nicht in Einklang zu bringen waren mit dem Video, das wir auch gesehen haben. Weil die Vermerke schlichtweg unwahr waren, die angefertigt wurden. Der Richter merkte noch an, dass gegen rechtswidrige Diensthandlungen Notwehr zulässig sei. Deshalb habe sich Herr O. hier auch wehren dürfen. Dies sei sein erster Freispruch, den er verkünde. Und der Fall werde ihm in Erinnerung bleiben.
Wie geht es Clifford O. mit dem Freispruch?
Ich fühle mich gut, der Rechtsstaat hat gesiegt Ich habe diesen Fall seit 2 Jahren in meinem Kopf. Verhandlungen, Besprechungen, Es ist endlich vorbei und ich freue mich.
Gibt es ein strukturelles Problem bei der Polizei? Dazu Rechtsanwalt Senghaus.
Es gibt dieses strukturelle Problem, weil Polizist*innen einen Vertrauensvorschuss einfach genießen. Immer was die sagen, das muss ja stimmen, weil es sind ja Polizisten. Und das ist halt leider Gottes recht häufig auch nicht der Fall.
Was würde in Fällen wie diesen helfen?
Durch mehr Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Und es ist nicht das erste Mal, als das ein Video auch dem Verteidiger seinen Kopf gerettet hat.
Und zum Schluss nochmal Clifford O. Was hat die solidarische Unterstützung auch jetzt im Prozess für ihn bedeutet?
Es war toll.
Ich habe nicht diese Art der Unterstützung erwartet.
Ich wusste,, dass viele Leute kommen, aber nicht so viel wie heute.
Es hat mich also wirklich gefreut.
Es zeigt Liebe.
Es zeigt, dass wir so für jeden füreinander da sind, nicht gegeneinander.
Liebe gewinnt immer.
Interview mit Clifford O.
Zum Nachlesen
Thomas:
Sie haben gerade eben einen Freispruch vor Gericht bekommen. Wie geht es Ihnen damit?
Eric O.:
Ich fühle mich gut, der Rechtsstaat hat gesiegt. Ich habe diesen Fall seit 2 Jahren in meinem Kopf. Verhandlungen, Besprechungen, Es ist endlich vorbei und ich freue mich.
Thomas:
Was war Ihnen vorgeworfen worden? Oder was ist damals passiert, 2023?
Eric O.:
Ich kam vor der Arbeit und wurde nach Drogen gefragt. Ich mache es kurz. Ich habe gesagt, dass ich keine Drogen nehme und so. Und die Polizisten stellen mir immer wieder die Frage, wann habe ich das letzte Mal Drogen genommen, vor drei Monaten? Und stellen sie mir immer wieder, immer wieder vor. Und ich sagte, ich nehme keine Drogen, ich will einfach nur nach Hause zu meinem Kind. Und daraufhin habe ich gemerkt, wie er seine Körperhaltung, wie er mit mir redet. Und in der Brücke war es dunkel. Ich hatte keine Sorgen. Es war niemand da. Nur die beiden, der Mann und die Frau, die beiden Polizisten waren da. Daraufhin habe ich mein Handy rausgeholt, um dieses Geschehen aufzunehmen. Und es war keine mit Gesicht so, mit Bildern oder so. Es waren nur die Stimmen, die ich aufgenommen habe. Dann sagte er zu mir, ich darf sowas nicht machen. Dann sagte er zu mir, ich weiß, ich darf nicht sowas machen. Aber ich habe hier keine Sorgen, ich muss was aufnehmen. Ich weiß, dass es strafbar ist, wenn man ein Foto macht. Daraufhin hat er geredet und so. Er hat gemeint, ich soll ihm mein Handy geben. Ich sagte, nein, ich gebe dir mein Handy nicht. Das ist mein Eigentum. Ich sagte ihm, ich überzeugte ihm, hey, ich arbeite nicht mehr. Nicht mal drei Minuten lang. Drei Minuten. Ich habe mit ihm geredet, er war einverstanden. Dann kommt mein E-Scooter und er wollte mich nicht mitnehmen. Dann gehe ich auf mein Handy und suche Kontakt aus von meiner Chefin, entweder meine Heimbereichsleitung oder meine Heimleiterin. Da ich durch das Handy gescrollt habe, auf einmal drehe ich meinen Kopf um. Er greift mich einfach von hinten an, seine Hand auf mein Herz. Ich schreie Hilfe, Hilfe.
Thomas:
Und wir haben ja auch auf dem Video, das im Prozess gezeigt wurde, gesehen, wie Sie dann gegen das Brückengeländer gedrückt wurden in der Nacht.
Eric O.:
Ja, ich wurde durch die Brücken gedrückt. Ich habe immer wieder Hilfe geschrien und er hat immer wieder versucht, mein Handy aus meinen Händen wegzunehmen. Das habe ich nicht zugelassen, dass er mein Handy von meinen Händen wegnimmt. Kurz danach kam die Polizistin mit dem Streifenwagen. Ich war auf dem Boden fixiert, ich schreie Hilfe, es tut weh, es tut weh. Keiner hat mir geantwortet. Auf einmal höre ich von dem Polizisten, der eine hat gesagt, Penner zu mir. Dann auf dem Boden schreie ich, ich bin kein Penner, ich bin kein Penner. Ich bezahle meine Steuern, ich respektiere das deutsche Gesetz und ich folge die Regeln, ich bin kein Penner.
Thomas:
Und dann sind Sie ja gefesselt in einen Polizeibus geschmissen worden letztlich.
Eric O.:
Ich bin einfach reingeschmissen mit Handschellen, aber ohne Sicherheitsgurt. Einfach so hinten, keiner sitzt, keiner war neben mir. Und die sind durch die Stadt gerast, wie Vollgeschwindigkeit. Vor der Ampel haben die gebremst, ich wäre fast umgeflogen.
Thomas:
Welche Verletzungen haben Sie gehabt?
Eric O.:
Ich hatte in meinem rechten Gesicht, die vordere rechte Seite, eine Verletzung. Mein Arm durch die Handschellen war ein bisschen Kratzer. Und hinter meiner Ferse waren auch die beiden Ferse, die mich die Schuhe vom Polizisten gedrückt habe. Da kamen die Verletzungen.
Thomas:
Das waren jetzt die körperlichen Verletzungen. Was hat das mit Ihnen seelisch und psychisch gemacht?
Eric O.:
Boah, es hat mich wirklich fertig gemacht.. Ich habe voll kein Interesse mehr, keine Lust, was zu machen. Auch mit meinem Kind, es war auch schwer. Früher habe ich mit ihm mehr gespielt oder so, aber in letzter Zeit, ich bin so geschlossen. Manchmal versuche ich zu vergessen, aber es geht nicht, weil die Sache nicht zu Ende war. Psychisch auf der Arbeit merke ich auch manchmal Vergesslichkeit. Ich schlafe oft in der Nacht, sehr spät. Es hat mich wirklich in den letzten zwei Jahren wirklich kaputt gemacht.
Thomas:
Die Zuschauer*innenbank war gefüllt mit Menschen, die solidarisch den Prozess beobachtet haben. Wie ging es Ihnen damit?
Eric O.:
Es war toll.
Ich habe nicht diese Art der Unterstützung erwartet.
Ich wusste,, dass viele Leute kommen, aber nicht so viel wie heute.
Es hat mich also wirklich gefreut.
Es zeigt Liebe.
Es zeigt, dass wir so für jeden füreinander da sind, nicht gegeneinander.
Liebe gewinnt immer.
Den Originalartikel gibt es unter https://rdl.de/Opfer_von_Polizeigewalt_Freigesprochen
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